Kilbi oder Bénichon – Freiburger Tradition in kulinarischem Grossformat

Die Kilbi und vor allem das Bénichon-Menu lockt alle zu Tisch

  1. Das Bénichon-Menu
  2. Die Stars der Bénichon
  3. Geschichte der Freiburger Bénichon / Kilbi

Das Bénichon-Menu

Die Freiburger Tradition der Bénichon oder Kilbi ist ein Fest, das alle zu Tisch lockt und in zwanglosem Ambiente feiern lässt. Als Gast nimmt man sich viel Zeit, um die typischen Gerichte der Region Gang für Gang zu kosten und die wunderbaren Produkte ‘du Terroir’ zu würdigen. Aufgetischt werden etwa die Cuchaule AOP, der Kilbi-Senf, der im Kamin geräucherte Schinken Jambon de la Borne AOP, Meringues mit Doppelrahm und all die anderen süssen Spezialitäten – das Bénichon-Menu ist ein grosses, ja sehr grosses Fest für den Gaumen!

Natürlich kennt das Bénichon-Menu ein paar Varianten, je nach Region, Köchin oder Koch oder Ausrichtung des Restaurants.

© Switzerland Tourism / Jan Geerk

Hier ein Beispiel, wie das Bénichon- oder Kilbi-Menu von vielen Familien im Kanton Freiburg auf den Tisch kommt:

Zum Auftakt: Cuchaule AOP und Kilbi-Senf.

Vorspeise: Seisler Vorässe. Diese Sensler Spezialität wird mit dem Löffel gegessen. Sie wird manchmal durch Kohlsuppe ersetzt.

Zwischengang: Bouillon und/oder Schafsvoressen mit Rosinen und Kartoffelstock.

Hauptgang: Jambon de la Borne AOP, Poire à Botzi AOP (Büschelibirnen), mit Speck umwickelte Bohnen und Lammgigot.

Desserts: Bricelets, Croquets (Guetzli mit Hagelzucker), Anisbrötchen, Kilbichüechli, Crejettes (ausgebackene Küchlein), Cuquettes (Blätterteigfladen) und selbstverständlich Meringues mit Doppelrahm.

Die weniger bekannten Spezialitäten der Kilbi

Schafsvoressen: Herz, Kopf, Zunge und die Hälfte der Leber eines Schafes werden in einer Bouillon mit einer gespickten Zwiebel, einem Kräutersträusschen, einer Sellerieknolle, zwei weissen Rüben, zwei Karotten, je zwei fein geschnittenen Zwiebeln und Knoblauchzehen sowie Rosinen und Weisswein gekocht. In der Regel wird diese Spezialität als Vorspeise des Kilbi-Menus im Sensebezirk aufgetischt.

Im Vivisbachbezirk gehören häufig auch süsse Crejettes zum Dessert. Dieses Kilbi-Feingebäck ist eine Art ausgebackenes Küchlein. Im Geschmack ähneln sie dem bekannten Karnevalsgebäck, geformt werden sie jedoch ganz anders.

Die Cuquettes sind Blätterteigfladen, die mit dickem Sauerrahm hergestellt werden und zur Kilbi-Zeit in verschiedenen Regionen des Kantons Freiburg einfach dazugehören.

Die Stars der Bénichon

Cuchaule AOP

Traditionsgemäss geniesst man die Cuchaule AOP, ein köstliches Safranbrot, anlässlich des Freiburger Bénichon-Festes. Zusammen mit dem Kilbi-Senf bildet sie den unumgänglichen Auftakt des grossen Bénichon-Menus. Viele Familien bevorzugen es aber, die Cuchaule AOP zusammen mit den «Resten» des Bénichon-Menus zum Abendessen aufzutischen. Auch ich selber mag das lieber so.

© Fribourg Région

Heutzutage kann man die Cuchaule AOP das ganze Jahr über kaufen, was viele Fans dieses Safranbrotes sehr schätzen. Ich persönlich warte, wenn auch mit Ungeduld, auf den «richtigen» Moment. Tatsächlich geniesse ich diesen Leckerbissen ausschliesslich während der Kilbi-Zeit. Mein Warten und Verzichten führt dazu, dass ich diese duftende Gebäck-Spezialität dann umso mehr schätzen kann.

Kilbi-Senf

Dieser Geschmack ist wahrlich einzigartig! Der Kilbi-Senf (Moutarde de Bénichon) ist typisch für die Bénichon-Zeit. Aber wie die Cuchaule AOP ist auch Kilbi-Senf mittlerweile ganzjährig in den Regalen vieler Läden. Und auch hier warte ich den Herbst ab, bevor ich zugreife. Scharf, süss, nachhaltig im Geschmack, diese Freiburger Spezialität lässt niemanden kalt. Man liebt oder verabscheut sie!

Vielleicht muss man Kilbi-Senf seit früher Kindheit gegessen haben, um ihn zu schätzen… ich bin da nicht sicher, Ihr müsst es selber ausprobieren!

Cuchaule AOP und Kilbi-Senf bilden zusammen ein perfektes Geschmackserlebnis. Mit oder ohne Butter, jede und jeder entscheidet nach eigenem Gusto. Ich finde, dass eine feine Schicht Butter die Aromen des Kilbi-Senfs noch besser hervortreten lässt. «Fett ist Leben!», dieser in der Westschweiz wohlbekannte Ausdruck macht hier wirklich Sinn.

Die Zubereitung des Kilbi-Senfs dauert ziemlich lange, und doch nehmen sich im Kanton Freiburg viele Hobby-Köchinnen und -Köche diese Zeit. Diese Rezepte gehören eindeutig zu den am besten gehüteten Familiengeheimnissen!

Jedes Rezept ist einzigartig und entspricht einer magischen Formel. Eine Hauptzutat jedoch ist für die feinen Unterschiede verantwortlich: Vin Cuit, Freiburger Apfel- oder Birnendicksaft! Er kann mehr oder weniger süss sein, mehr oder weniger Birnen enthalten, intensiver oder neutraler schmecken. Immer aber bildet er die Basis des Kilbi-Senfs. Senfkörner sind ebenfalls entscheidend: Einige lieben die Schärfe, andere bevorzugen mehr Süsse.

Wer noch nie ein Rezept für Kilbi-Senf ausprobiert hat, sollte zuerst den gängigen Standards folgen und danach den Prozess jedes Jahr verbessern. Nach einigen Jahren könnt Ihr Euch für den Wettbewerb um den besten Kilbi-Senf einschreiben. Dieser findet jeweils Ende Sommer in Estavayer-le-Lac statt.

Das ist auch der perfekte Moment, um die ganze Komplexität des Kilbi-Senfs kennenzulernen oder um die eigenen Geschmacksknospen zu verfeinern und Experte zu werden auf dem Gebiet dieses unumgänglichen Stars des Bénichon-Menus.

Jambon de la Borne AOP (kamingeräucherter Schinken)

«La Borne» war traditionsgemäss der Raum des Bauernhofs, wo man das Fleisch räucherte. Im Kanton Freiburg wird der Schinken heutzutage hauptsächlich in der Metzgerei geräuchert. Der Jambon de la Borne AOP  ist eine überaus geschätzte Fleisch-Spezialität, die im grossen Bénichon-Menu eine Hauptrolle spielt, inzwischen aber ganzjährig erhältlich ist. Häufig wird er zusammen mit Saucisson (Wurst), Speck, Kohl, Bohnen und Kartoffeln serviert.

Bricelet

© Produits du terroir

Dieses Biscuit ist sehr fein, zerbrechlich, luftig und delikat, ein weiterer Star des Bénichon-Menus! Hergestellt wird es mit einem gusseisernen Bretzel-Eisen, von denen jedes für ganz einzigartige Verzierungen sorgt. Der Teig basiert hauptsächlich auf leicht säuerlichem Doppelrahm. Natürlich kann man auch handelsübliche Crème fraîche verwenden, was dem Bricelet jedoch etwas seines typischen Geschmacks nimmt.

Erwachsene geniessen die Bricelets am Schluss des Bénichon-Menus mit dem Kaffee. Die zerbrechliche Köstlichkeit hinterlässt unweigerlich feine Brösel auf dem Tischtuch. Und meist können die Gäste dann nicht anders, als die Fingerspitze zu benetzen und diese Bricelet-Spuren bis zum letzten Restchen aufzupicken. Kinder lieben es, ihre Finger in die knusprigen Röhrchen zu stecken. Das Spiel besteht darin, die Bricelets wegzuknabbern, ohne dass sie zerbrechen.

Seisler Brätzele

Auch in der Sensler Variante werden die Brätzele mit dem leicht säuerlichen Doppelrahm gemacht, in Form und Geschmack unterscheiden sie sich jedoch von den Bricelets. Traditionellerweise versammelt sich die erweiterte Familie zwei Wochen vor dem Bénichon-Fest, um diese Brätzele herzustellen, und zwar gleich in einer leicht salzigen wie auch süssen Variante. Das gemeinsame Werk beginnt mit dem Formen der Teigstränge, welche zu ovalen Schleifen ausgelegt werden.

© Terroir Fribourg

Jede Familie bringt ihr eigenes Bretzel-Eisen mit, welches auf die Gasflamme gestellt wird. Um eine perfekte Backleistung zu gewährleisten, wird das Eisen jeweils für rund 15 Sekunden auf den Ofen zurückgestellt. Und fertig ist’s!

Heutzutage werden die Bricelets und ihre Sensler Variante, die Seisler Brätzele, auch ausserhalb der Freiburger Bénichon-Saison angeboten.

Kilbi-Schaukel

Die Kilbi-Schaukel gehört ebenfalls zu einer Bénichon-Feier im traditionellen Stil. Am Vordach des Bauernhauses wird ein grosses Holzbrett mit Seilen angehängt. Kleine Kinder setzen sich in die Mitte, während grössere und Jugendliche sich an den Enden platzieren, um für tüchtig Schwung zu sorgen.

Man fixiert das Ganz besser sehr gut an den Balken, denn wenn die Erwachsenen sich auch draufsetzen und so richtig Gas geben, scheint die Schaukel kurz vor dem Abheben zu sein!

Geschichte der Freiburger Bénichon / Kilbi

Die Bénichon oder Kilbi ist eng verknüpft mit dem gesellschaftlichen, bäuerlichen und religiösen Leben im Kanton Freiburg. Ursprünglich ein christliches Fest zum Erntedank, wurde sie rasch zu einer sehr weltlichen Angelegenheit. Entsprechend verschrien und ungern gesehen wurde die Bénichon mit ihrer Schlemmerei und den Tanzfesten daher von den religiösen Instanzen.

Im Laufe der Zeit konnte sich die Bénichon jedoch der Gesellschaft und ihren neuen Sitten anpassen und dennoch den zentralen Gedanken dieser traditionellen Feier aufrechterhalten.

Wie alle Traditionen, welche überdauern sollen, musste auch die Bénichon an neue gesellschaftliche Gepflogenheiten angepasst werden. Heute gibt es die Bénichon-Feste in der Familie, im Restaurant, die öffentliche Grosse Kilbi im Freiburgerlandund sogar ein Kilbi-Menu zum Mitnehmen. Somit kann heute die ganze Welt dieses kulinarische Fest geniessen.

Im Werk «Chantons, dansons, bénichonnons, Hier et aujourd’hui» der Historikerin Anne Philipona und des Spezialisten für Freiburger Traditionen, Jean-Pierre Papaux, findet sich ein wahrer Schatz an Informationen zur Bénichon. Deren Geschichte wird detailreich erzählt und mit Anekdoten und Illustrationen aufgelockert. Und obendrauf gibt’s Liedtexte und Rezepte mit Kilbi-Bezug.

Die Bénichon in der Familie

Heute noch versammelt sich zur Bénichon die ganze Familie. Vor allem in den ländlichen Regionen des Kantons Freiburg ist es DIE Gelegenheit für alle, sich am Tisch zusammenzusetzen und die so wichtigen Familienbande über Generationen hinweg zu stärken.

Dieses Mal ist der ältere Bruder zuständig fürs Tranchieren des Schinkens. Er umfasst den Knochen mit einem Tuch, um sich nicht zu verbrennen. Dann lässt er das Messer eins ums andere Mal rundum durch den Schinken gleiten, bis es gemäss seiner Berechnung passt. Zwei Tranchen pro Person… oder drei?

Grosseltern, Cousinen und Cousins, die alte Tante und der schwerhörige Onkel … alle freuen sich, dieses so gesellige Festmahl miteinander zu geniessen. Die Kinder toben herum, sie sind von der allgemeinen Aufregung ganz elektrisiert, und Grossmutter möchte unbedingt auf die Kilbi-Schaukel. Während die Eltern noch erklären, dass das total verrückt wäre, helfen die Jugendlichen ihrer Ahnin bereits aufs grosse Holzbrett unter dem Vordach.

Da haben wir’s! Grossmutter geniesst die Kilbi-Schaukel, welch ein Spektakel! Nach viel Gelächter kommt der Moment für ein «Gläschen», und einige meinen, dass man darin auch ein Croquet (Guetzli mit Hagelzucker) eintauchen könnte.  

Die Bricelets hinterlassen ihre Brösel überall, niemand ist mehr hungrig, und trotzdem sieht man von der Büchse mit den Anisbrötchen schon bald den Boden. Es ist 16.00 Uhr, in etwas mehr als zwei Stunden setzen sich die ganz Ausdauernden bereits wieder zu Tisch, um die «Reste» des Bénichon-Menus zu vertilgen.  

Die Bénichon im Restaurant

Zahlreiche Restaurants im Kanton Freiburg bieten das Bénichon-Menu an. Wählt das Datum und vergesst keinesfalls zu reservieren, denn dieses kulinarische Fest ist sehr beliebt!

© Take Off Productions

Welch ein Glück, wenn man sich nicht um die langen Vorbereitungen dieses Menus zu kümmern braucht und einfach die Füsse unter den Restauranttisch strecken kann!

In der Auberge de la Couronne in Lessoc begleitet einheimische Volksmusik das grosse Essen. Ein Leckerbissen fürs Auge ist zudem die gut erhaltene Architektur des malerischen Dörfchens. Nehmt Platz und geniesst das Bénichon-Menu in vollen Zügen! 

Ein ganz anderes Kilbi-Ambiente erlebt man in der Stadt Freiburg, beispielsweise im Feinschmecker-Restaurant La Cène.

Im Oktober lässt sich die Bénichon in den Freiburger Voralpen geniessen, etwa im urchig-gemütlichen Restaurant Le Tsalè in der Region von Les Paccots.

Um den Appetit etwas anzuregen, kann man am Vormittag eine Wanderung einplanen, oder wenn Ihr das bevorzugt, nach dem Essen einen Verdauungsmarsch oder -spaziergang unternehmen. Punkto Wanderungen  habt Ihr die Qual der Wahl. Wenn die Wettergötter gnädig gestimmt sind, bietet der Herbst rund um Les Paccots ein paradiesisches Dekor und wird Euch bestimmt verführen.  

Im September bietet die Region La Gruyère einen Gourmet-Rundgang durch Bulle an, auf dem an fünf Orten je einen Gang des traditionellen Kilbi-Menus vorfindet und dabei etwa den Kunsthandwerksmarkt oder den Jahrmarkt in der Rue du Marché miterlebt.  

Ecuvillens feiert die Bénichon mit einem grossen Umzug, einem Jahrmarkt, einem Ball, mit grosser Tombola und sogar einem Ferkel-Rennen. Rendez-vous ist das Wochenende vom 9. – 11. September 2022!

Die Bénichon kann Euch jedes Jahr auch überraschen. Die Website Die Kilbi im Freiburgerland listet alle Veranstaltungen und ihre Variationen auf. Hier findet man auch Informationen zur Bénichon des entreprises, zu Restaurants, die das Bénichon-Menu anbieten und zu Bauernhöfen, die ihre Tore zu diesem Fest öffnen.

Im Kanton Freiburg wird alles gemacht, um diese Tradition hochleben zu lassen, lang lebe die Bénichon!

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