Berghütten-Wanderung ins Herz der Freiburger Alptraditionen

Berghütten sind ganz spezielle Etappenorte auf dieser Mehrtageswanderung durch eine Schweiz der gelebten Alptraditionen. Oder ein spannendes Ziel per se. Glücklich, wer eine Mehrtageswanderung durch diese urtümliche Ecke der Schweiz vor sich hat! Eine Nacht inmitten der Freiburger Voralpen verspricht viel Erlebnis und echtes Feriengefühl, schliesslich ist man weit über dem Alltag. Denn: „Wer braucht schon die Zivilisation wenn sie/er in einer Berghütte logieren kann?“

  1. Start zur Hüttentour: Jaun – Soldatenhaus
  2. Im Naturschutzgebiet des Vanil Noir
  3. Weiter auf dem Freiburger Voralpenweg
  4. Informationen

Start zur Hüttentour: Jaun – Soldatenhaus

Wir sind zum Wandern hier in Jaun (1015 m) und lassen daher die Sesselbahn Gastlosen-Express (www.jaun-bergbahnen.ch) aufs Musersbergli (1570 m) wortwörtlich links liegen. Das Chalet du Soldat ist eine der bekanntesten Berghütten der Schweiz, sie ist eine Legende und verdient daher unseren Respekt, also die Annäherung zu Fuss.

Wir starten beim Wasserfall von Jaun, einem Kraftort der Natur. Das Wasser tritt hier mit grosser Wucht direkt aus dem Felsen. Fein zerstäubt erfrischt die Urgewalt unsere Gesichter. Wo es seinen Ursprung hat, werden wir im Laufe dieser Hüttentour noch entdecken.

Die Wanderung von Jaun zum Chalet du Soldat oder Soldatenhaus entspricht der Etappe 4 des Freiburger Voralpenwegs Nr. 78 von SchweizMobil. Auf den sechs Kilometern sind gut 820 Höhenmeter aufwärts und etwa 70 Meter abwärts zu überwinden. Der Weg ist problemlos, diese Hüttentour eignet sich auch für Familien mit Kindern.

Wir starten über einen schattigen Waldpfad und gewinnen rasch an Höhe. Sobald der Wald die Sicht frei gibt, traraaa: Vorhang auf für die spektakuläre Bergkette der Gastlosen, bekannt auch als die Dolomiten der Schweiz und als Kletterparadies. Fast senkrecht ragen die weisslichen Kalkzacken himmelwärts.

Besonders bekannt ist das Grossmutterloch„, ein 15 Meter hohes und fünf Meter breites Felsfenster, das insbesondere zwischen November und Februar ein viel fotografiertes Naturereignis darstellt. Dann strahlt nämlich jeweils für ein paar Minuten die tiefstehende Sonne hindurch. Uns offenbart sich durch den Schlitz im Felsen immerhin ein Stück tiefblauer Himmel.

Trou de la Grand-mère © Nicolas Geinoz

Teufel oder Geologen? Wer hat Recht?

Wieso „Grossmutterloch“? Die Sage sei hier in Kürze nacherzählt: Der Teufel war wütend auf seine Grossmutter und schleuderte sie über die Zacken der Gastlosen-Kette. Sogleich bereute er diese Untat und hieb mit seiner Faust durch die Felswand, um sein Grossmütterlein aufzufangen.

Die Geologen sehen das natürlich anders und erklären auf ihrem Themenweg ganz sachlich die Sprengkraft von Wasser bei Frost und weiteres Wissenswertes rund um die Gastlosen. Die Erklärung vom Geologischen Pfad der Gastlosen mutet beinahe ebenfalls an wie eine Legende, ist aber hieb- und stichfeste Wissenschaft.

Die Kalksteine der Gastlosen sind vor 160 Millionen Jahren auf einer Karbonatplattform entstanden, ähnlich den heutigen Bahamas! Vor 30 Millionen Jahren begannen sich diese Kalksteine zu heben und aufzurichten. Heute formen sie eine Schuppe, die sich über die Flysch-Schichten der „Préalpes Supérieures“ schiebt…. Einfach wunderschön!

Berghütte mit militärischem Ursprung: Soldatenhaus

Durch einen verzaubert wirkenden Tannen-Farn-Moos-Wald und spannendes Bergsturzgebiet hindurch erreichen wir nach gut 2,5 Stunden die Berghütte „Chalet du Soldat“ (1752 m).

Was hinter dem Namen steckt? Natürlich wieder Geschichte, diesmal aber militärischen Ursprungs: Das Berghaus wurde Ende des zweiten Weltkriegs zu militärischen Zwecken erbaut. Paul Wolf, Major der Freiburger Gebirgsjäger, stellte Lücken im alpinen Training seiner Truppen fest. Mit dem Ausbildungsort „Chalet des Freiburger Regimentes“ wurde tatkräftig Abhilfe geschaffen.

Danach ging das Berghaus mit der Zeit und öffnete sich für andere Bataillons, später für zivile Alpinisten, und heute steht es selbst Spaziergängern offen. Anstelle militärischen Drills wird Berghütten-Gastfreundschaft zelebriert. Und was an regionalen Köstlichkeiten aufgetischt wird, hätten die Soldaten damals wohl nicht einmal zu träumen gewagt. Das Fleisch-Fondue vom Charolais-Rind mit saisonalen Gemüsesorten ist der Hit des Hauses und schmeckt vorzüglich!

Vor dem Essen geniessen wir auf der Terrasse ein Glas Wein – vom Freiburger Vully – und die grandiose Aussicht auf die Greyerzer Bergwelt: Das nach Im Fang führende Tal Petit Mont, der Berg Gros Mont oder Hochmatt (2152 m) und in der Ferne das nächste Ziel unserer Mehrtageswanderung, das Massiv des Vanil Noir (2378 m), des höchsten Berges des Kantons Freiburg: All diese Pracht im sanften Abendlicht. Und uns im Nacken grinsen die Gastlosen.

Chalet du Soldat © Pascal Gertschen

Im Naturschutzgebiet des Vanil Noir

Nein, der Vanil Noir ist kein Dessert, ein Gipfel aber schon, ebenso ein Naturschutzgebiet und vor allem ein Erlebnis. Der Berg Vanil Noir trennt zusammen mit anderen Freiburger Voralpengipfeln zwei äusserst ursprüngliche Hochtäler, östlich das Vallée des Morteys und westlich das Vallée de Bounavaux. Von seinem Gipfel aus überblicken geübte Alpinisten das Waadtländer Pays d’Enhaut, die fernen Walliser Gipfel und die gesamte Freiburger Bergwelt.

Mit dem Col de Bounavalette gibt es zwischen den beiden Tälern einen Übergang, den trittsichere Wanderer bei guten Wetterbedingungen  nehmen können (T4). 9.8 km2 gross ist die Kernzone des Naturschutzgebiets des Vanil Noir. Die Flächen gehören wie die beiden Berghütten Cabane des Marindes und Cabane des Bounavaux der Pro Natura. Schutzziel ist es, den Artenreichtum der Flora und den Tieren ihre spezifischen Lebensräume zu erhalten. Um das Gesicht der Landschaft zu wahren, bleibt die traditionelle Alpwirtschaft Teil des Lebens im Naturpark Vanil Noir.

Auf zur nächsten Berghütte!

Weiter geht’s mit der Mehrtageswanderung durch diese eher unbekannte Ecke der Schweiz! Der Weg vom Soldatenhaus mündet beim Parkplatz Gros Mont (1365 m) in den Wanderweg zur Berghütte Cabane des Marindes. Unter den parkierten Autos sind auffällig viele mit Freiburger Kennzeichen, also Einheimische… wo sind diese Leute? Der Wegweiser lässt mehrere Möglichkeiten offen. Spannend tönen etwa Château d’Oex, Rougemont, Freiburger Voralpenweg oder auch „Grand Tour des Vanils“.

Wir folgen der Nase nach taleinwärts und spazieren zuerst durch eine flache Hochmoorlandschaft. Dahinter ragen einige Tannen, einzeln und in Gruppen, aus dem schon herbstlich verfärbten Wiesengras. Da weiden Kühe, es zirpt aus dem Grün, eine Idylle! Weiter hinten erheben sich die Berge, umschliessen die Ebene.

Nach wenigen Minuten gelangen wir zur Alp Sori (Juli/August eine Buvette, im September nur am Wochenende). Das scheint für ein paar Spaziergänger das Ziel gewesen zu sein, sie haben sich eine Erfrischung und eine Portion Vorahnung gegönnt, was im Naturschutzgebiet des Vanil Noir auf sie warten würde.

Durch ein Tor betreten wir nun offiziell das Naturschutzgebiet des Vanil Noir. Einem trockenen Bachbett entlang geht’s aufwärts in das Vallée des Morteys. Wie komisch, dass das Flüsschen Riau des Morteys ausgetrocknet ist, wo es doch erst geregnet hat und zudem kleine Wasserfälle von den rechtsseitigen Steilhängen fallen! Des Rätsels Lösung erfahren wir in der Berghütte in einer kleinen Infobroschüre von Pro Natura.

Das Rätsel des verschwundenen Bachs

Das hauptsächlich aus Kalkgestein gebildete Massiv des Vanil Noir ist besonders von der Karsterosion betroffen: Die Gesteine der Oberfläche sind von Rillen, Rinnen und Spalten zerfurcht, und in der Tiefe existiert ein Netz von Gängen und Kanälen. Hier im Vallée des Morteys verschwindet der Riau des Morteys … bis zum Wiedersehen an einem ganz anderen Ort.

Chalet du Soldat © Pascal Gertschen

Während der Schneeschmelze oder bei starkem Niederschlag erreicht der Bach die Ebene von Sori, wo er im Boden versickert. Im Sommer und Herbst nimmt die Wassermenge allerdings ab und das Bachbett trocknet schon viel weiter oben aus. Findige Forscher eruierten durch den Einsatz von Farbstoffen an den Versickerungsstellen den Austrittsort des Wassers. Es ist der Wasserfall von Jaun, ein Kraftort, dem lange Zeit der Mythos der Unerklärbarkeit seines Ursprungs anhaftete. Während seiner über zehn Kilometer langen unterirdischen Reise wird das Wasser gereinigt und mineralisiert, es ist also ein höchst natürliches und wertvolles Trinkwasser! (Quelle: Natur-Wanderung im Naturschutzgebiet des Vanil Noir, Pro Natura)

Natur pur und wild: Vallée des Morteys

Das Vallée des Morteys ist berühmt für seinen grossen Artenreichtum. 497 verschiedene Pflanzenarten wurden etwa bei „Oussana“ auf nur 7 km2 Fläche gezählt. Kein Wunder flattern da auch 46 Arten von Schmetterlingen von Blüte zu Blüte. Das enge Tal wird beinahe zu einem Canyon, und die Pflanzengemeinschaften in den süd- und nordwärts gerichteten Hängen könnten unterschiedlicher nicht sein. Paradiesisch Zustände für verschiedensten Lebensräume!

Rechts über uns erheben sich die felsigen, stark besonnten Steilhänge der Dent de Brenleire und Dent de Folliéran. Die fast senkrechten, kalkweissen Felsbänder sind interessant horizontal geschichtet, und kontrastieren schön mit den kargen Wiesenstellen. Hmm, hier oben dürften sich nur noch Gämsen auf sicherem Terrain fühlen. Kaum Schatten, helle Kalkfelsen, bei Sonnenschein eine Bruthitze, blumenreiche Magerwiesen… ein Teil des Bewuchses sei sogar mediterranen Ursprungs. Ein Wald von kleinwüchsigen Bergahornen sticht uns ins Auge. Auch dies ist eine Seltenheit, wachsen diese sonst doch eher als Einzelbäume …

Ganz anders linksseitig im Schatten, und entsprechend lange unter einer Schneedecke, eine alpin-arktische Pflanzenwelt mit Arven, Heidelbeerbüschen, Farnen, Moos etc. Der Wanderweg führt uns durch den Talboden. Wo das Vieh sich gerne aufhält, gedeihen grosse Flächen der Alpen-Ampfer, aber auch Brennnesseln, Disteln etc. Hier kommt uns eine Ziegenhirtin mit ihrer kleinen Truppe Geissen entgegen. Diese scheuchen uns vom Weg und würdigen uns kaum eines Blickes. Ein Auftritt wie im Bilderbuch!

Grad vor uns beschliesst der höchste Berg Freiburgs, der Vanil Noir (2378 m) das Sackgassen-Tal. Vanils gibt es übrigens viele, das Wort bedeutet auf Freiburger Patois so viel wie „schroffer Gipfel“. Ein Kreuz bezeichnet den Gipfel, aber allzu imposant sieht er von hier aus nicht aus.

Dann wird der Weg steiler, zwischen den zerfurchten Kalkbrocken recken sich letzte Sommerblumen himmelwärts, wir bewundern Rittersporn, Farn im Miniformat, Frauenmänteli etc. Eine kreisrund ausgewaschene Stelle im Felsen ist mit trockenen Nadeln gefüllt. Ein feines Kunstwerk der Natur! Langsam aber sicher lassen wir den Wald unter uns, weit hinter uns sind die Gastlosen ins Bild gerückt.

Linkerhand bestaunen wir das Resultat gewaltiger Bergstürze, welche durch die Druckentlastung zurückgewichener Gletscher, Karsterosion sowie Gefrier- und Auftauprozesse entstanden sind. „Les grosses Pierres“ heisst dieser mit riesigen Felsbrocken durchsetzte Hang unter der Dent des Bimis denn auch. Murmeltieren bieten die vielen Spalten perfekte Fluchtwege und sichere Verstecke … Wir setzen uns einen Moment auf Beobachtungsposten und verhalten uns ruhig. Und siehe da, der vermeintliche Felsbrocken entpuppt sich als grasende Gämse, und da noch eine, und dort auch. Sieben Tiere erspähen wir, dem kurzen Innehalten sei Dank!

Eine Fahne verheisst uns die baldige Ankunft am Ziel, der Berghütte Cabane des Marindes. Sie zeigt einen weissen Kranich auf rotem Grund, das Wappen der Region La Gruyère.

Der Legende zufolge sah der Vandalenkönig Gruerius etwa 400 Jahre n. Chr. einen Kranich (franz. „Grue“) am blutroten Abendhimmel fliegen. Er entschied, genau dort seine Stadt zu bauen: Gruyères/Greyerz. Aus diesem Grund zeigt das Wappen der einstigen Grafen von Gruyères einen Kranich vor rotem Hintergrund. Allegorisch steht dieses Wappentier für Wachsamkeit. Und es ist bis heute im Greyerzerland stark präsent, so auch zuhinterst im Vallée des Morteys.

Etappenort Berghütte des Marindes

Cabane des Marindes © Schweiz Tourismus / André Meier

Endlich erhaschen wir erste Blicke auf das schöne schindelgedeckte Dach der Cabane des Marindes (1868 m). In dieser Berghütte werden wir übernachten. Nach zwei Wanderstunden betreten wir durch ein mit Steinbocksujets verziertes Eisengatter die Terrasse. Wie sie sich in die kleine Mulde schmiegt und in dieser Position doch den totalen Überblick hat! Die Berghütte gehört wie das Naturschutzgebiet der Pro Natura, wird aber von der SAC-Sektion La Gruyère bewirtschaftet.

Hüttenwartinnen an diesem September-Donnerstag sind Fabienne und eine Kollegin. Trotz des Traumwetters sind wir nur vier Gäste, die auch über Nacht bleiben. Die anderen Wanderer und ein paar leicht bekleidete Trailrunner verabschieden sich, als es auf der Terrasse kühl wird. Sie laufen zurück zum Parkplatz, Richtung Zivilisation. 

Wir schätzen uns glücklich, eine mehrtägige Wanderung in dieser urtümlichen Ecke der Schweiz geplant zu haben. Denn das Naturschauspiel geht nach dem Sonnenuntergang weiter. Über dem Talabschluss hinter der Berghütte ziehen sich dramatische Wolken und Nebelschleier zusammen. Da oben sollten oder wollen wir am nächsten Tag über den Pass „Col de Bounavalette“…

Die gelbe Fee Gentiane

Wir lassen noch ein Weilchen unsere Blicke über die nun ruhigen Weiden schweifen. Unmöglich, sie zu übersehen! Schlank und anmutig wiegt sie sich im Wind. Diese Pflanze hat die Weidesaison überlebt – Rinder und Gämsen verschmähen die bittere Schönheit – und eine stolze Grösse erreicht auf den ansonsten kargen Wiesenflecken. Im Vallée des Morteys wurzelt sie auf ihrem Lieblingsboden, kalkigem Alpengrund. Und nun hat der nahende Herbst ihren Blättern einen Hauch von Gold verliehen, sie scheint hier die Königin, die Gentiana lutea, auf Deutsch „Gelber Enzian„.

Die Hüttenwartin erzählt, dass die Einheimischen einen Schnaps aus dem Rhizom produzieren, den traditionsreichen Enzian. Dazu müsse man die Wurzel ausgraben und fein raspeln, eine aufwändige Arbeit. Aus der Maische lässt sich dann der begehrte Wurzelbrand destillieren.

Dem aromatisch-bitteren ‚Eau-de-vie de Gentiane“ werden seit Jahrhunderten gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben, insbesondere ist er ein Digestif, also ein Verdauungsschnaps. Natürlich, für die Gesundheit nimmt man doch einiges auf sich! Aufpassen müsse man, dass man den Gelben Enzian nicht mit dem hochgiftigen Weissen Germer verwechsle… und dass man nicht zu viel des Guten tue. Santé!

Der Verein Kulinarisches Erbe der Schweiz hat den Enzian registriert, unter anderem für die Westschweizer Voralpen, zu denen der Naturpark des Vanil Noir gehört.

Einfache Berghütten-Kost

A propos Verpflegung in dieser Berghütte: Das Speiseangebot der Cabane des Marindes ist beschränkt. Covid19 ist für einfache Kost: Aus der Hüttenküche gibt es einzig Suppe oder eine Trockenwurst mit Brot. Normalerweise dürfte man hier die Küche benutzen und mitgebrachte Lebensmittel selbst kochen. Vorerst aber nicht (aktuelle Infos zum Schutzkonzept unter Cabane des Marindes). Warme und kalte Getränke sind jedoch erhältlich.

Wohlwissend haben wir uns mit rucksacktauglichen Freiburger Köstlichkeiten eingedeckt: Je ein gutes Stück der Käse-Stars der Region, Gruyère d’Alpage AOP und Vacherin fribourgeois AOP, dazu Schinken aus dem Bauernkamin, frisch vom Knochen gehobelt, ein knuspriges Nussbrot und ein verführerisch duftendes Safranbrot (Cuchaule AOP) fürs Frühstück. Dazu etwas Obst… was will man mehr? Alles schmeckt wunderbar!

Für Unterhaltung sorgen wir selbst. In Berghütten wie dieser hat man Zeit, sich gründlich auszutauschen, Pflanzenbücher und die Wanderkarte zu studieren, einen Jass zu klopfen und früh den Schlafsack im Dachraum auszubreiten. A propos: Ein Schlafsack ist in Covid-Zeiten ebenfalls selbst mitzubringen, es gibt weder Bettwäsche noch Tücher.

Morgenstund

Ein paar Stunden später: Ich wache auf und befinde mich allein im Schlafraum… Oh, da ist wohl das Spektakel des Sonnenaufgangs im Gange. Schnell die Dachluke öffnen! Wow, welch prachtvoller Ausblick! Hinter den Gipfeln am Rande des Vallée des Morteys blinzelt schon die Sonne hervor. Sie flutet den Wanderweg, die Terrasse und die hölzerne Schindelhaut der Berghütte mit warmem Licht und Tausenden von Glanzpunkten. Dahinter begrenzen die bläulich schimmernden Gastlosen diese Bergwelt.

Meine Wanderkameraden und die Hüttenwartinnen stehen draussen. Das Fernglas der Berghütte macht die Runde. Gämsen! Da und dort eine beim Frühstück, eine gemütlich im Anmarsch, eine andere beim Überwinden des fast senkrechten Felsbands in einer halsbrecherisch anmutenden Direttissima.

Die Morgendämmerung sei für die Gämsen die bevorzugte Zeit, auch in der Nähe der Berghütte ein paar frische Kräutlein zu zupfen. Zusammen mit dem Morgentau sicher eine saftige Angelegenheit. Auch „Antilopen der Alpen“ genannt, sind diese Tiere scheu und ziehen sich tagsüber in die Höhe zurück.

Frühherbstliche Nebel haben dem Tal über Nacht erhebliche Feuchtigkeit beschert. Dies lässt uns punkto Wanderroute umdisponieren. Wir verzichten auf den nahegelegenen Übergang via Col de Bounavalette, da uns die blau-weiss markierte Passage via die „Roches pourries“ (verdorbene Felsen) als sehr ausgesetzt und potenziell rutschig geschildert werden.

Der Schwierigkeitsgrad T4 heisst unmissverständlich: nur für sehr trittsichere und 100% schwindelfreie Alpinisten und nur bei günstigen Bedingungen. Auch dann bleibt als Restrisiko der bröcklige Stein.

Traditionelle Alpwirtschaft auf Les Morteys Dessous

Etwas näher wollen wir dem kesselartigen Talabschluss mit seinen spektakulären Karstformen aber doch noch kommen. Fünf Minuten hinter der Berghütte liegt die Alp Les Morteys Dessous (1888 m), welche ebenfalls der Pro Natura gehört. Das aus Kalksteinbrocken gefertigte Chalet hat nur kleine Fenster, dafür einen grossen Kamin, schindelverkleidet wie das Dach. Meist ist es hier unwirtlich und rauh.

Von Mitte Juli bis ca. Mitte August jedoch kehrt Leben auf der Alp ein. In dieser Zeit produzieren Sennen hier Gruyère d’alpage AOP (Alpkäse) nach traditioneller Art und Weise, also im Kupferchessi über dem Holzfeuer. Es sei sogar das höchste Käsechessi des Kantons Freiburgs! Ein Einheimischer erzählt: „Wenn die Alp im Hochsommer bewirtschaftet wird, duftet es hier nach Feuer, und weisse Tücher zeugen von der Alpkäse-Produktion.“

Chalet des Morteys © Pascal Gertschen

In dieser kurzen Zeit erfolgt auch der Abtransport der Käselaibe nach uralter Tradition, nämlich auf dem Rücken von Maultieren. Begleitet werden diese trittsicheren Tiere von Jean-Claude Pesse, der damit den schwindenden Beruf des Barlatè am Leben erhält. Barlatè umschreibt auf Freiburger Patois diese traditionelle Arbeit.

Jean-Claude Pesse ist Lehrer an einer internationalen Schule. Die Aufgabe des Barlatè übernimmt er seit einigen Jahren aus Freude an der Tradition. Aber auch, um insbesondere einer jüngeren Generation die Werte zu vermitteln, die man unterwegs im Vallée des Morteys entdecken kann: Respekt für die Erde, die Traditionen, das Echte. Ein wunderbarer und erwünschter Ausgleich zum rasanten und immer mehr digitalisierten Alltag!

Er kennt seine Maultiere und motiviert sie mit viel Gespür. Beim Aufstieg mit den noch leeren Packsätteln überlässt er ihnen die Wahl vom Tempo und Weg. „Sie müssen sich aufwärmen und ihre Kräfte einteilen können, denn beim Abstieg werden sie je 120 Kilogramm Käse tragen“, erklärt er. Auf Anfrage kann man ihn und seine Maultiere begleiten.

Weiter auf dem Freiburger Voralpenweg

Nun wenden wir uns wieder dem magisch-schönen Vallée des Morteys zu und wandern bergab. Nach gut zwanzig Minuten folgen wir dem Wegweiser den rechtsseitig gelegenen Hang hinauf: Der Freiburger Voralpenweg Nr. 78 nach Château-d’Oex (3 h 40 min) ist auch Teil der Grand Tour des Vanils, einer grossartigen Mehrtageswanderung durch diese traditionsreiche Ecke der Schweiz mit elf Etappen. Wald und Weiden wechseln sich ab, einzelne Fichten wurzeln scheinbar direkt auf den herabgestürzten Felsblöcken. Wanderglück pur!

Im feuchten Klee am Wegrand fallen uns da und dort abgenagte Arvenzapfen auf. Hier war eindeutig der Tannenhäher am Werk. Er sammelt die Samen und vergräbt sie als Wintervorrat. Einen Teil davon findet er nicht mehr, was dem kälte- und höhenresistenten Nadelbaum bei der Vermehrung hilft. Arven erkennt man übrigens daran, dass sie fünf Nadeln pro Büschel aufweisen.

Vanil Noir © Lorenz Weisse

In einem Halbkreis führt der Weg uns um den Dent des Bimis und panoramareich durch dessen Südflanke. Der Perspektivenwechsel lässt uns nun weit in die Waadtländer und Berner Alpen schauen. Und bald schon blicken wir wieder zum Kreuz des Vanil Noir hoch, jetzt halt von der anderen Seite.

Wo der gute Alpweg in den Hang geschnitten wurde, offenbart sich uns die Machart der Gesteine. Schichten von festem Felsen wechseln sich ab mit Bändern von wahrlich bröckliger Konsistenz. Die ursprünglich von Gletschern und Moränen geformte Landschaft wird ja auch stetig weiterbearbeitet: Wasser, Schnee, Eis und die Karsterosion sind weiterhin aktiv am Werk.

Bei der Alp Paray Doréna (1687 m) halten wir Mittagsrast. Freundlich, aber vorwitzig nähert sich uns eine Kuh. Die Nase kommt immer näher, die Zunge raus, und schon leckt sie tatsächlich an meinem Rucksack! Etwas salziger Schweiss mag da schon dran sein, doch lohnt sich das? Wenig später ist das Rätsel gelöst: Im Hintergrund steht ein Salzbehälter auf der Wiese… im genau gleichen Blau wie mein Rucksack! Aber bestimmt ergiebiger punkto Salzgehalt!

Zwei Stunden später – der Weg talwärts führt über Alpsträsschen zurück in die Zivilisation – sind wir am Bahnhof von Château-d’Oex. Der Zug bringt uns in einer guten Stunde bequem zurück nach Bulle. Als begeisterte Hüttenwanderer werden wir die Cabane des Bounavaux (1620 m) am nächsten Tag angehen. Dazu werden wir mit dem Auto ab Grandvillard im Intyamon-Tal bis zum Parkplatz Les Baudes (1265 m) hochfahren. Von dort sind es gut 75 Minuten zur Berghütte. Wir freuen uns schon!

Informationen

Die in diesem Text beschriebenen Wanderungen führen über gute und nicht ausgesetzte Wanderwege. Achtung: Der Übergang vom Vallée des Morteys ins Vallon de Bounavaux (T4) über den Col de Bounavalette ist ausschliesslich geübten, sehr trittsicheren, schwindelfreien Berggängern und nur bei trockenen Verhältnissen zu empfehlen. Wer in Begleitung eines diplomierten Bergführers unterwegs ist, wird sich gut beraten und sicher fühlen.

Cabane de Bounavaux © Pascal Gertschen

Die Wanderungen können einzeln und individuell gemacht werden oder als zusammenhängende, mehrtägige Hüttenwanderung. Mehrtägige Wanderungen in der westlichen Schweiz sind recht einfach zu organisieren, da es sehr viele Berghütten gibt. 

Das Chalet du Soldat hat in der Regel bis Ende Oktober geöffnet, im Winter an den Wochenenden und einigen weiteren Daten. Die Übernachtung ist online oder telefonisch zu reservieren. Ein eigener dünner Schlafsack muss mitgebracht oder vor Ort gemietet werden, Decken stehen zur Verfügung. Das Angebot an Speis und Trank ist vielfältig und lecker. www.chaletdusoldat.ch

Die Berghütten Cabane des Marindes und Cabane des Bounavaux werden von der SAC-Sektion La Gruyère bis Ende September bewartet. Übernachtungen müssen reserviert werden, eventuell muss der eigene Schlafsack mitgebracht werden. Serviert werden einzig Suppe und Getränke. Ob für höhere kulinarische Ansprüche die Küche benutzt werden kann, muss bei der Buchung abgeklärt werden (im 2020 war dies Corona-bedingt nicht möglich). www.cas-gruyere.ch/de/huetten

Ab Sommer 2021 bietet La Gruyère Tourisme Hüttenwandern als Trekking-Pauschale an mit je einer Übernachtung im Chalet du Soldat und in der Cabane des Marindes. www.la-gruyere.ch/forfaits

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